Irene Diwiak (11)

Die Stiegenkirche

»Die Oase der Stille«. Das steht groß am Eingang der Stiegenkirche. Dabei ist es überall stiller als in dieser Kirche. Draußen spielen Straßenmusikanten auf ihren Violinen, eine Straßenbahn saust vorbei, und in der Kirche drinnen wird gehämmert und gesägt.

Wahrscheinlich wird sie anlässlich der »Kulturhauptstadt Graz 2003« umgebaut. Aber trotzdem: Von der »Oase der Stille« kann man nicht reden. Warum steht das dann aber da? Ich kann mir das nur mit dieser Sage erklären:

König Balduin I., der vor – sagen wir mal – 600 Jahren in Graz regiert hat, war ein kämpferischer Mensch. Sobald es irgendeinen Anlass gab, Krieg zu führen, so führte er auch Krieg. Außerdem hatte er keinen Glauben, was damals beinahe kriminell war. Das Volk litt sehr darunter. Deswegen suchte es immer wieder die Kirche auf, um für seine Befreiung zu beten.

Als König Balduin Wind davon bekam, ließ er alle Kirchen in Brand stecken. Nun war das Volk aufgebrachter als je zuvor. Jetzt waren sogar ihre wenigen Kirchen, die nicht schon in einem der zahlreichen Kriege zerstört worden waren, für immer vernichtet. Nun hatten sie keinen heiligen Platz mehr, um zu beten.

Ein Bäckerlehrling hatte allerdings eine Idee: »Wir bauen die Backstube zu einer Kirche um!«

»Na und? Dann lässt der König sie wieder verbrennen!« rief eine Frau aus dem Volk.

»Oh, das ist ein Problem. Aber dann müssen wir die Kirche eben so bauen, dass sie von außen wie ein normales Haus aussieht und nur von innen eine Kirche ist«, meinte der Bäckerlehrling.

»Ja, und wie soll ich mein Geld verdienen?« rief der Bäckermeister.

»Oh, das ist ein Problem. Aber dann müssen wir eben viele Stiegen bauen. In der ersten Etage ist die Kirche, und im Erdgeschoss können wir unsere Backstube haben.«

Damit waren alle zufrieden. Das ganze Volk arbeitete fleißig, und bald war die »Stiegenkirche« fertig. Und wie durch ein Wunder: Als die Kirche fertig gestellt war, war der König plötzlich nett und führte sein Lebtag nicht mehr Krieg. Deswegen nannte man die Kirche »die Oase der Stille«, weil von da an Stille in der Stadt Graz herrschte.